Herrenberger stehen auf musikalische Experimente
Gäubote, 02.10.2001
Dass sich Jazzsaxofonisten auch an geistliche Musik heranwagen ist spätestens seit Jan Garbareks diversen Projekten mit dem Hilliard Ensemble nichts Ungewöhnliches mehr. Dennoch: der Dialog zwischen alt und neu, konventionell und modern ist mitunter auch gewöhnungsbedürftig. Die Jazz-Missa des Stuttgarters Peter Schindler hatte da leichtes Spiel: seinem Trio und dem Jungen Kammerchor Baden-Württemberg glückte die Verschmelzung in der Stiftskirche Herrenberg vortrefflich.
Dort, wo zwei offenbar unterschiedliche Welten aufeinander treffen, ist Einklang nicht unbedingt vorprogrammiert. Es sei denn, beide Parteien erweisen sich als dialog- und anpassungsfähig. Woran sich interessierte Hörer bereits bei den musikalischen Ausflügen eines Jan Garbarek in geistliche Musikgefilde gewöhnen konnten, ging Peter Schindler mit der Aufstellung eines Schlagzeugs noch einen Schritt weiter. Perkussionist Markus Faller versorgte den Chor mit Rhythmen und Grooves, insbesondere sein Spiel brachte neuen Schwung in die Missa.
Das wurde bei der zweiten Zeile des Kyrie deutlich, zu der sich Orgel (Peter Schindler) und Saxofon (Peter Lehel) mit einer fast schon schmalzig zu nennenden Ballade gesellten, die aus dem Beginn des Ordinariums durchaus eine charttaugliche Hintergrundmusik machten. Die Nähe zum Pop offenbarte dann die Wiederholung des "Kyrie eleison": Durch den forcierten Rhythmus bekam der Chorgesang plötzlich etwas Hymnisches und erinnerte stark an so legendäre Zeilen wie "We will rock you". Dazu wippten die Notenbücher auf den abgewinkelten Unterarmen der Chormitglieder sicher im Takt, im Publikum folgte so mancher Fuß dem Groove.
Die Jazz-Missa von Peter Schindler vermied es jedoch in der Folge, in den Kitsch abzugleiten. Während Markus Faller seine Aufgabe als Impulsgeber beibehielt (manchmal vielleicht etwas zu vordergründig), ließen sich Saxofon und Orgel immer wieder in hörenswerte musikalische Dialoge verwickeln, verstärkten mit ihren instrumentalen Möglichkeiten auch die inhaltlichen Aussagen. Das Flehen im Gloria äußerte sich durch ein ungeduldiges Orgelspiel, etwa so, als würde ein Jazzpianist zu einer Improvisation ansetzen. Grandios in der Folge auch die Dialoge von Schlagzeug und Orgel zum Bild der Kreuzigung und des Märtyrertods, das akustisch einem Gewitter gleichkam.
Die neue Verpackung der im Laufe der Geschichte unterschiedlichen Einflüsse sowohl von der textlichen wie auch der musikalischen Seite sorgte in der Stiftskirche für Begeisterung. Mit dem Jungen Kammerchor, geleitet von Jochen Woll und der Triobesetzung "Pipes and Phones" hat sich gezeigt, dass traditionelle Überlieferungen sich immer wieder erneuern lassen - vor allem aber auch, dass es die Zuhörerin Herrenberg nach solchen Experimenten verlangt.