Stuttgarter Zeitung, 12.06.2002

Der letzte Abschlag Jochen Wolls nach dem abschließenden "Alleluia" von Randall Thompson war bezeichnend für das Konzert seines Chors in der Stuttgarter Leonhardskirche - die Aufmerksamkeit gespeichert zwischen Daumen und Zeigefinger der hoch erhobenen rechten Hand. Das Programm verlangte das, zumal manche Stücke leichter und fasslicher klangen, als sie tatsächlich sind: Moderne und zeitgenössische geistliche Musik vom amerikanischen Kontinent sang der Junge Kammerchor, mit dem Schwerpunkt Südamerika, vertreten durch Kompositionen von Mozart Camargo Guarnieri, Heitor Villa-Lobos, Ernani Aguiar, Bruno Kiefer und Hector Rafael Bisso.

Das "Gloria" des Argentiniers Bisso vereinigte manche Eigenheiten der präsentierten Werke und steigerte sie zu einer gelungenen Synthese: Von der Textdeklamation her am katholisch-kirchlichen Ritus orientiert, transportiert diese Musik ihre Botschaft in verschlungenen Linien, immer im traditionellen Sinne melodisch, aber gebrochen durch eine Technik der Polyphonie, die auf Reibungen hin angelegt ist.

Vom Charakter her ähnlich hymnisch, aber ohne feste tonale Bindung dagegen Charles Ives "Psalm 67", dessen enthusiastische Preisungen der Junge Kammerchor mit ausreichend kalter Durchsichtigkeit interpretierte. Die unbeschwerte Seite der Moderne zeigt der Brasilianer Ernani Aguiar in seinem "Salmo 150", der nicht prunkvoll lobend einsetzt wie bei Ives, sondern mit einem tänzerischen "Lalala" des Chores. Berührend der Liebes-Singsang in Stephen Chatmans "You have ravished my Heart" nach einem Text des Hohelieds Salomos.

tur