Die erträgliche Schwere des Seins
Junger Kammerchor Baden-Württemberg sang in der Vitus-Kirche
Rhein-Neckar-Zeitung, 19.09.2011
Kann Musik vom Leid der Welt erlösen? Oder können eher Bibeltexte den ersehntenTrost spenden? Utopische Projekte sind es, die versuchen, in musikalischen Kompositionen Leid in Positives zu verkehren, manchmal explizit durch Vertonungen von (Bibel-) Texten.
Eine Auswahl solcher Werke führte der JungeKammerchor Baden-Württemberg unter der Leitung von Jochen Woll in der St.-Vitus-Kirche in Heidelberg-Handschuhsheimauf, in einem A-cappella-Programm, das mit dem Psalmenzitat „Die mit Tränen säen“ überschrieben war. Zu Beginn sang der Chor Heinrich Schütz‘ gleichnamiges Werk, mit sprachlich und musikalisch deutlicher Artikulation.Es folgte eine Komposition von Jochen Woll selbst, die auf dem schon von Schütz verwandten Psalmtext aufbaute.Von einem Anfang in Clustern gelangte der Chor zu einer Melodie, die aus eigentümlich verunsicherten Intervallen bestand und zu einer Fuge ausgebaut wurde. Das Stück endete in einem freudig-tänzerischen Rhythmus.
Max Regers „O Tod, wie bitter bist du“aus dem Jahre 1912 ist ein beeindruckendesWerk. In der ersten Hälfte, die die Bitterkeit des Todes immer von Neuem beklagt, schwankt das Stück zwischenTrauer und Verzweiflung, zwischen spannungsgeladenen, dissonierenden Akkorden und bedrückenden Unisono-Passagen. Der Tod verwandelt sich allerdings im zweiten Teil des Stücks in die Erlösung des Leidenden, musikalisch zwar nicht frei von Zweifeln, wesentlich tonaler jedoch als zuvor und ohne die eindrückliche Pein der ersten Hälfte. Ganz ruhig endete das Stück in Dur.
In dem sich anschließenden „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“ kämpfte auch Johannes Brahms mit den Grenzen des harmonischen Systems bei dem Versuch, das menschliche Leid auszudrücken und umzudeuten. Durch das Stück hindurch werden seine Ansätze zu süßlicher Erlösung immer überzeugender und enden in einem Choral.
Zum Abschluss des Konzerts erklang Bachs Motette „Jesu, meine Freude“, in der Artikulation immer noch stark, in Intonation und Rhythmus aber teilweise erschöpft. Besonders die mit „Gute Nacht,o Wesen“ beginnende Choralstrophe überzeugte durch die prägnante Choralmelodie im Alt und der filigranen Begleitungder anderen Stimmen.
Ist es also der Musik möglich, zur Erlösung vom menschlichen Leid zu führen? Oder sind die versöhnlichen Schlüsse in diesen Stücken nur Ausdruck des Wunsches, der Musik möge diese Kraft innewohnen? Jochen Woll zumindest musste das Publikum nach anhaltendem Beifall geradezu zum Verlassen der Kirche drängen, sodass die Musik in diesem Fall eine Wirkung erzielt zu haben scheint.
Teresa Roelcke