GEISTLICHE MUSIK VON DESPREZ BIS EBEN IN DER EVANGELISCHEN JOHANNISKIRCHE

Kammerchor zu Gast

Mannheimer Morgen, 02.03.2018

Überall im Bundesland verstreut, von Stuttgart über Karlsruhe bis Ulm, leben die Sängerinnen und Sänger des Kammerchores Baden-Württemberg. Nun konzertierte das Ensemble unter Leitung von Jochen Woll in der evangelischen Johanniskirche auf dem Lindenhof. „Wir waren schon etliche Male hier“, erklärte Chorleiter Jochen Woll.
Unter dem Motto „Zeit-Los“ stimmte der Chor ausgewählte Lieder an wie „Agnus Dei“ von Josquin Desprez, „De Tempore“ von Petr Eben und „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ von Johann Sebastian Bach. Den Überbegriff „Zeit“ kann man vielseitig interpretieren, ob philosophisch, physikalisch oder theologisch. In der evangelischen Johanniskirche setzte der Kammerchor dieses Wort beziehungsreich in Zusammenhang mit dem zweiten Begriff „Ewigkeit“.

In dem Lied „Wende dich, Herr, und sei mir gnädig“ des Komponisten Johann Hermann Schein, der vor 400 Jahren gelebt hatte, taucht die verzweifelt flehende Zeile auf: „Die Angst meines Herzens ist groß, führe mich aus meinen Nöten.“ Unbegrenzt scheinen die künstlerischen Fähigkeiten und Möglichkeiten dieser Musikgruppe. In Tempo und Temperament deutlich zurück nahm sich der überregionale Kammerchor, der 1985 gegründet wurde und sich vornehmlich geistigem Liedgut widmet, dagegen in dem Stück „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy – eine lyrische Musik über die sieben letzten Worte von Jesus Christus während seiner Kreuzigung. Von der Vergänglichkeit des Lebens handelt „Unser Leben währet siebenzig Jahre“.

Ungewöhnlicher Stellungsversuch

Außerdem unternahm das Ensemble einen Stellungsversuch, indem sich die vielen Künstler getrennt in den verschiedenen Winkeln der Johanniskirche singend verteilten. Ungewöhnlich und experimentell klang das Stück „De tempore“ des zeitgenössischen Komponisten Petr Eben. „Sie hören darin Elemente der Moderne, Sprechgesang, rhythmisches Sprechen, Klänge des Jazz und gregorianische Choräle“, erläuterte Dirigent Jochen Woll, der an der Musikschule Heidelberg unterrichtet. „Alles war schon mal da. In der heutigen Musik spiegelt sich die Musik der ganz alten Zeiten.“
Im letzten Sommer begab sich der landesweite Kammerchor für eine musikalische Klausur an den Gardasee, um abseits der Touristenpfade neue Lieder einzustudieren. Dort habe der Koch die deutschen Stimmwunder dazu eingeladen, ein spontanes Konzert in der Bergkirche seines Heimatdorfes zu geben.
Aus Italien brachte der Klangkörper das italienisch-katholische Stück „Signore delle Cime“ mit, ein Abendlied, das die Gesangskünstler dem Publikum nicht vorenthielten. „Als nächstes Motto erarbeiten wir gerade ein Konzertprogramm über den Begriff Erbarmen“, kündigte Jochen Woll an. hfm