Singet – Raummusik aus sechs Jahrhunderten
Untertürkheimer Zeitung, 20.02.2020
Bei frühlingshaftem Wetter fand sich eine zahlreiche Zuhörerschar zum 1. Spazierwegkonzert in dieser Saison ein und war fasziniert. Der Kammerchor Baden-Württemberg hatte sich für dieses Konzertprogramm eine Woche lang Zeit in San Felice del Benaco am Gardasee für konzentrierte Probenarbeit genommen – das hieß täglich 7 Stunden Singen in italienischem Ambiente. Herausgekommen ist ein Abriss darüber, wie sich die Chormusik über 600 Jahre entwickelt hat.
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts durchdringt das Bewusstwerden von der Dimension eines Raumes alle Gebiete des Lebens, auch die der Kunst. Christoph Columbus entdeckt Amerika, die Entdeckungsfahrten Vasco da Gamas und Amerigo Vespuccis finden statt und die Musikpraxis der „Venezianischen Mehrchörigkeit“ kommt auf. Verteilt aufgestellte Chöre heben das aktive Besingen und Lobpreisen des Schöpfers und seiner Schöpfung in eine völlig neue Dimension und stillen auch die gesteigerten Repräsentationsbedürfnisse der katholischen Kirche.
Die Petruskirche konnte natürlich nicht die Möglichkeiten eines Markusdoms bieten, aber der Kammerchor hat nicht nur durch „musikalische Bewegung“ sondern auch durch Aufstellungswechsel die Klangräume geweitet. Nach Werken von Gabrieli und Monteverdi teilte sich der Chor beim „Jauchzet dem Herrn“ von Heinrich Schütz in drei Formationen, eine davon auf der Empore, auf - eine schöne Näherung an Venedig und ein besonderes Hörerlebnis!
Im Mittelpunkt des Konzerts stand der große Meister der Barockmusik Johann Sebastian Bach mit seiner berühmten doppelchörigen Motette "Singet dem Herrn“, ein Werk, das an italienischen Concerti orientiert, hohe künstlerische Herausforderungen stellt. Jochen Woll, der Leiter des Kammerchors, hat seinen Chor mit gefühlvollem Dirigat durch die Klippen dieses schwierigen Stückes geführt.
Den Abschluss dieses spätnachmittäglichen Konzerts bildeten Werke von Hugo Distler, Tobias Brommann und Felix Mendelssohn Bartholdy, allesamt Kantoren am Berliner Dom und wurden auch dort jeweils zum ersten Mal aufgeführt. Diese drei Stücke mit dem exakt gleichen Text „Singet dem Herrn“ vermitteln einen Eindruck über die musikalischen Neuerungen und Weiterentwicklungen der letzten drei Jahrhunderte, augenfällig bei Brommann die Anlehnung an Stile der „alten Zeit“. Das letzte Werk von Mendelssohn, eigentlich für Chor und großes Orchester gesetzt, hatte Jochen Woll sehr eindrucksvoll in eine Fassung für zwei vierstimmige Chöre überführt.
Mit großem Applaus für den Chor und seinen Leiter endete diese kurzweilige Konzertstunde. Als Zugabe sang die Zuhörergemeinde zusammen mit dem Chor den Kanon „Dona nobis pacem“ – eine schöne Verabschiedung in den sonntäglichen Abend!